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Hilfe zur Selbsthilfe in der Corona-Pandemie: Ein modularisiertes und online-basiertes Therapieangebot für Menschen mit psychischen Belastungen in Mecklenburg-Vorpommern

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ist eine Zunahme von psychischen Problemen in der Allgemeinbevölkerung und somit ein vermehrter Bedarf an psychotherapeutischer Unterstützung für Menschen mit psychischen Problemen und Störungen zu beobachten. Um psychisch Belasteten schnelle Hilfe zukommen zu lassen, einem Anstieg an psychischen Störungen entgegenzuwirken und die Überlastung des bestehenden psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgungssystems zu minimieren, sind daher dringend niederschwellige Präventions- und Interventionsmaßnahmen notwendig. Diese Maßnahmen sollten dabei gleichzeitig das Ansteckungsrisiko mit dem COVID-19-Virus verringern und mit den geltenden Sicherheitsmaßnahmen konform sein, weshalb digitale Angebote als besonders geeignet erscheinen. Unser Projekt verfolgt entsprechend die Ziele, eine geführte vier-wöchige digitale Selbsthilfe-Intervention zu entwickeln, zu implementieren und wissenschaftlich zu evaluieren, um diese langfristig den Betroffenen in ganz Mecklenburg-Vorpommern anbieten zu können.
In das Projekt sollen in einer ersten Phase 180 Patient*innen mit psychischen Störungen eingeschlossen werden, die sich auf der Warteliste für eine ambulante Psychotherapie des Zentrums für Psychologische Psychotherapie (ZPP) der Universität Greifswald befinden. Diese Patient*innen nehmen nach Studieneinschluss an einer der fünf entwickelten digitalen Selbsthilfe-Interventionen teil, wobei jede Intervention entlastende und symptomreduzierende Strategien sowie praktische Übungen aus evidenzbasierten Psychotherapieverfahren enthält. Die Durchführung unterstützen geschulte E-Coaches und digitale Applikationen, um die Benutzerfreundlichkeit und Wirksamkeit zu erhöhen. 30 Patient*innen bilden die Kontrollgruppe und erhalten keine Intervention. Um die Selbsthilfe-Intervention auf die individuellen Bedürfnisse der Patient*innen auszurichten, werden wir in einer zweiten Phase untersuchen, ob eine algorithmenbasierte Personalisierung die Effekte der Selbsthilfe in bedeutsamem Ausmaß steigert. Hierfür wird auf Basis der in Phase 1 erhobenen Daten ein statistischer Algorithmus entwickelt, der eine Zuordnung der einzelnen Patient*innen zu den spezifischen Modulen mit maximaler Wahrscheinlichkeit einer zu erwartenden Reduktion der Psychopathologie ermöglicht. Hierfür werden weitere 150 Patient*innen der Warteliste eingeschlossen, wobei 75 ein durch den Algorithmus ermitteltes Modul erhalten und die anderen 75 ihr Modul selbst wählen können. Aufgrund der erhöhten Nachfrage nach ambulanter Psychotherapie im Kontext der Corona-Pandemie im ZPP erscheint die Realisierung der Stichprobe von insgesamt 330 Patient*innen über 3 Jahre realistisch.
Flächendeckende Angebote wissenschaftlich fundierter, effektiver und kosteneffizienter Selbsthilfe-Interventionen für Menschen mit psychischen Problemen oder Störungen sind in Deutschland trotz ihrer nachgewiesenen Kosteneffektivität bisher nicht weit verbreitet. Wir versprechen uns von der anschließenden Implementierung dieses Angebots in unserem Flächenland Mecklenburg-Vorpommern einen Abbau der Zugangshürden zu adäquaten psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten, eine sinnvolle Überbrückung der Wartezeiten und sowie eine Reduktion der Krankheitslast für die Betroffenen und deren Angehörige sowie der Gesellschaft.
Dieses Projekt wird im Rahmen des Programms „Gesundheit und Prävention“ gefördert durch das Landesförderinstitut Mecklenburg-Vorpommern.
Was sind die Projektziele?
Entwicklung, wissenschaftliche Evaluation und flächendeckende Bereitstellung einer geführten Selbsthilfe-Intervention
Wer gehört zur Zielgruppe?
Psychisch belastete Personen mit Behandlungsbedarf ohne zeitnahen Zugang zu entsprechenden Behandlungsangeboten
Wie ist der Zugang für Studienteilnehmer*innen geregelt?
Teilnehmer*innen werden von der Warteliste des Zentrums für Psychologische Psychotherapie (ZPP) in Greifswald rekrutiert. Da während der COVID-19-Pandemie die Nachfrage nach ambulanter Psychotherapie stark angestiegen ist und sich die Wartezeit auf einen Therapieplatz somit erheblich verlängert hat, soll die angebotene Selbsthilfe-Intervention vor allem bei leichter bis moderater Beeinträchtigung schnell und niedrigschwellig Abhilfe verschaffen.
Welche Maßnahmen gehören zum Projekt?
Entwicklung, Durchführung und wissenschaftliche Evaluation des Interventionsprogrammes bei 330 Patient*innen der Warteliste des Zentrums für Psychologische Psychotherapie Greifswald (ZPP)
Wie wird die Wirksamkeit evaluiert?
Allgemeine und spezifische Belastungen durch psychische Symptome werden mittels psychometrischer Testverfahren im Verlauf der Studie erfasst und zur Untersuchung der Wirksamkeit untersucht.
Selbsthilfe-Interventionen
Eine hilfreiche und kosteneffektive Lösung für niederschwellige Angebote bei psychischen Belastungen sind internetbasierte Selbsthilfe-Interventionen. Bei diesen Interventionen werden von Expert*innen aufbereitete Inhalte, die auf Techniken und Strategien evidenzbasierter Psychotherapieverfahren basieren, über Online-Portale zur Verfügung gestellt. Bei den Inhalten handelt es sich um grundlegende Informationen (Psychoedukation) und Anleitungen zu selbst durchzuführenden Übungen, die entweder in Textform oder durch Multimedia-Inhalte (z.B. Video- oder Audioaufnahmen) vorgestellt und angeleitet werden. Die Wirksamkeit von Selbsthilfe-Interventionen bei psychischen Problemen und Störungen gilt weitgehend als gesichert (z.B. Andersson & Titov, 2014; Cipriani, 2020; Weisel et al., 2018). Während die Programme in der Regel ohne Hilfe von Dritten durchgeführt werden können, bietet sich bei schwereren Beeinträchtigungen die geführte Selbsthilfe an, bei der ergänzende Kontakte zu einer oder einem sogenannten E-Coach (meist geschulte Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen) per E-Mail, Telefon oder Videochat möglich sind und die Umsetzung der Techniken unterstützen und reduziert die Wahrscheinlichkeit eines frühzeitigen Abbruchs der Interventionen (Karyotaki et al., 2021). Der Einbezug von Selbsthilfe-Interventionen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung wurde in den Commonwealth-Staaten, darunter insbesondere in Großbritannien, weit vorangetrieben. Im Rahmen eines abgestuften Angebotes, übernimmt hier der National Health Service die Kosten für solche Interventionen bei Patient*innen mit geringer bis moderater Belastung, während schwer belastete Patient*innen einen beschleunigten Zugang zu intensiven Behandlungsangeboten wie ambulanter Psychotherapie erhalten. Flächendeckende Angebote wissenschaftlich fundierter, effektiver und kosteneffizienter geführter Selbsthilfe-Interventionen für Menschen mit psychischen Problemen oder Störungen sind in Deutschland bisher nicht weit verbreitet. Vor allem im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern können solche Angebote die Zugangshürden zu adäquaten psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten deutlich abbauen, Wartezeiten sinnvoll überbrücken und durch die Wirksamkeit auch die Krankheitslast verringern. Um die Effizienz solcher Angebote im Ganzen zu steigern, muss zukünftig im Rahmen eines individualisierten Vorgehens das Angebot auf die spezifischen Bedürfnisse der Betroffenen ausgerichtet sein.
Projektziele
Ziele des geplanten Projekts sind die Entwicklung, wissenschaftliche Evaluation und anschließende flächendeckende Bereitstellung einer geführten digitalen Selbsthilfe-Intervention zur Unterstützung psychisch belasteter Personen mit Behandlungsbedarf, denen nach Indikationsstellung aufgrund begrenzter Kapazitäten kein zeitnaher Zugang zu entsprechenden Behandlungsangeboten ermöglicht werden kann. Dieses Projekt hat während der COVID-19-Pandemie eine besondere Relevanz, da zum einen der Bedarf nach psychotherapeutischer Betreuung weiter steigt und zum anderen durch das digitale Angebot persönliche Kontakte vermieden werden müssen, was insbesondere für Betroffene oder Angehörige von Risikogruppen für schwere COVID-19-Verläufe höchst relevant erscheint.
Nach erfolgreicher Implementation und Evaluation in unserer Einrichtung anhand von 330 hilfesuchenden Patient*innen soll das Interventionsprogramm flächendeckend für alle Patient*innen in Mecklenburg-Vorpommern (z.B. Wartelisten-Patient*innen anderer Einrichtung und/ oder niedergelassener Kolleg*innen) und auch im Rahmen einer präventiven Maßnahme Betroffenen mit subklinischer Belastung zur Verfügung gestellt werden (z.B. belastete Personen mit hohem Risiko für psychische Störungen; Risikofaktoren s. Brakemeier et al., 2020).
Das vorgeschlagene digitale Selbsthilfe-Programm ist zunächst eingebettet in die personellen und organisatorischen Strukturen des ZPP der Universität Greifswald. Dadurch können eine ambulante Krisenintervention oder Akutbehandlung bei krisenhaften Verläufen gewährleistet werden. Zudem werden studentische Mitarbeiter*innen der Universität Greifswald nach Schulung und unter engmaschiger Supervision durch psychologische Psychotherapeut*innen als E-Coaches eingesetzt.
In einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs), welche federführend von unserem Lehrstuhl initiiert wurde, wird festgestellt, dass behandlungsbedürftige Patient*innen einerseits zeitnah eine auf die aktuelle Krise zugeschnittene Therapie benötigen und andererseits die bestehenden psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgungssysteme, einschließlich der psychosozialen Dienste, nicht überlastet werden dürfen. Eine der geforderten gesundheitspolitischen Maßnahmen betrifft die Entwicklung und Finanzierung von niederschwelligen, barrierefreien und kurzen Interventions- und Präventionsangeboten für Menschen mit psychischen Störungen oder Problemen, welche auf die Probleme der Betroffenen zugeschnitten sein sollen. Ein derartiges digitales Interventions- und Präventionsangebot möchten wir durch dieses Projekt zeitnah zunächst Patient*innen auf der Warteliste des ZPPs in Greifswald und nach erfolgreicher Evaluation anschließend psychisch belasteten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern anbieten.
Wir erwarten, dass die in der Phase 1 implementierten digitale Selbsthilfe-Intervention bei den 180 teilnehmenden Patient*innen der Warteliste des ZPPs zu einer größeren Reduktion der psychischen Belastung führt als die 30 Patient*innen erfahren, die während der Wartezeit kein spezifisches Interventionsangebot erhalten. Aufgrund der nachgewiesenen Effektivität der Strategien gehen wir davon aus, dass einem relevanten Anteil der Patient*innen diese Selbsthilfe-Intervention bereits so umfassend helfen werden, dass sie keine weitere ambulanten Psychotherapie mehr benötigen. In der zweiten Phase erhalten 150 Patient*innen die digitale Selbsthilfe-Intervention. Unter Nutzung der bis dahin erhobenen Daten werden wir einen statistischen Algorithmus etablieren, der durch eine personalisierte Zuordnung weiterer Patient*innen zu den spezifischen Selbsthilfe-Modulen die Effektivität der dann individualisierten Selbsthilfe-Intervention maximiert. Wir nehmen an, dass durch diese Individualisierung die Reduktion der Belastung und der Anteil an Patient*innen ohne weiteren Psychotherapiebedarf größer ausfallen wird als wenn die Zuordnung ohne personalisierte Zuordnung vollzogen wird. Schließlich erwarten wir in beiden Phasen, dass sich bei den Patient*innen, bei denen nach den Selbsthilfe-Interventionen eine ambulante Psychotherapie weiter indiziert ist, die anschließende Psychotherapie durch die bereits erreichten Teilziele kürzer und effektiver gestaltet als dies bei Patient*innen der Fall ist, die zuvor die Wartezeit ohne Teilnahme an Selbsthilfe-Interventionen durchlaufen haben. Follow-up Erhebungen werden Aufschluss über den langfristigen Verlauf geben.
Referenzen
Andersson, G., & Titov, N. (2014). Advantages and limitations of Internet-based interventions for common mental disorders. World Psychiatry, 13(1), 4-11.
Brakemeier, E. L., Wirkner, J., Knaevelsrud, C., Wurm, S., Christiansen, H., Lueken, U., & Schneider, S. (2020). Die COVID-19-Pandemie als Herausforderung für die psychische Gesundheit. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie. Advance online publication. https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000574
Cipriani, A. (2019). Effectiveness and Acceptability of Cognitive Behavior Therapy Delivery Formats in Adults With Depression A Network Meta-analysis. verfügbar unter https://oxfordhealth-nhs.archive.knowledgearc.net/handle/123456789/212.
Karyotaki, E., Efthimiou, O., Miguel, C., Bermpohl, F., Furukawa, T. A., Cuijpers, P., Individual Patient Data Meta-Analyses for Depression (IPDMA-DE) Collaboration, Riper, H., Patel, V., Mira, A., Gemmil, A. W., Yeung, A. S., Lange, A., Williams, A. D., Mackinnon, A., Geraedts, A., van Straten, A., Meyer, B., Björkelund, C., Knaevelsrud, C., … Forsell, Y. (2021). Internet-Based Cognitive Behavioral Therapy for Depression: A Systematic Review and Individual Patient Data Network Meta-analysis. JAMA Psychiatry. Advance online publication. https://doi.org/10.1001/jamapsychiatry.2020.4364.
Weisel, K. K., Lehr, D., Heber, E., Zarski, A. C., Berking, M., Riper, H., & Ebert, D. D. (2018). Severely burdened individuals do not need to be excluded from internet-based and mobile-based stress management: effect modifiers of treatment outcomes from three randomized controlled trials. Journal of medical Internet research, 20(6), e211.
Kontakt
Leitung
Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
Universität Greifswald
Lehrstuhlinhaberin Klinische Psychologie und Psychotherapie
Direktorin des Zentrums für Psychologische Psychotherapie (ZPP)




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