Warum Wald? Warum jetzt – und warum in Vorpommern?
Wald|Psyche fokussiert sich innerhalb des Gesamtvorhabens Wald|Gesund speziell auf die Zielgruppe von Menschen mit Depressionen. Denn psychische Gesundheit stellt eine zentrale Voraussetzung für Selbstbestimmung, soziale Teilhabe und die Entfaltung persönlicher Potenziale dar (WHO, 2019; Robert Koch-Institut [RKI], 2022). Doch psychische Beschwerden bis hin zu klinischen Störungsbildern wie Depressionen oder Angststörungen sind weit verbreitet (Hansen et al., 2017; Coventry et al., 2021). Besonders betroffen sind strukturschwächere Regionen – wie Mecklenburg-Vorpommern.
M-V zählt außerdem zu den Bundesländern mit der geringsten Lebenserwartung (Statistisches Bundesamt, 2022). Eine mögliche Erklärung liegt in der vergleichsweise hohen Prävalenz chronischer Erkrankungen, insbesondere Herz- Kreislauf-Erkrankungen und psychischer Störungen – vor allem Depressionen (z.B. Völzke, 2012). Aktuelle Daten zeigen zudem: Über ein Drittel der Erwerbstätigen in M-V (36,4 %) ist von einem psychischen Leiden betroffen, wobei Depressionen auch hier den größten Anteil ausmachen (Barmer, 2023; DAK, 2017). Gleichzeitig erschwert ein Mangel an Therapieplätzen vielerorts den Zugang zu professioneller Hilfe (PsyFaKo, 2022).
Hier setzt Wald|Psyche an: Im Fokus steht die Entwicklung und wissenschaftliche Evaluation mehrwöchiger, niedrigschwelliger therapeutischer Wald-Kurse in der Region – mit dem Ziel, deren kurz- und langfristige Wirkungen auf psychosoziale, physiologische sowie verhaltensbezogene Gesundheitsfaktoren zu erfassen. Zugleich soll untersucht werden, wie Naturverbundenheit gestärkt und nachhaltiges Denken und Handeln gefördert werden können. Zudem sollen durch das Angebot Menschen mit depressiven Symptomen in Wartezeiten entlastet und langfristig gesundheitsfördernde sowie präventive Strukturen bereitgestellt werden.
Perspektivisch wird angestrebt, das Angebot im Raum Greifswald und Vorpommern zu implementieren – als ergänzenden therapeutischen Ansatz im Sinne der Public und One Health. Der Wald wird dabei als aktiver Ort der Gesundheitsförderung für Patient*innen wie auch für die breite Bevölkerung gedacht. Die Region bietet mit dem Naturschutzgebiet Eldena, dem Elisenhain, den Küstenwäldern des Boddens und urbanem Grün wie dem Arboretum optimale Voraussetzungen für vielfältige, ortsnahe Naturerfahrungen und die Erprobung solcher Angebote.
10 gute Gründe in den Wald zu gehen
Naturerfahrungen wirken positiv auf…
- die körperliche Gesundheit: Stresshormon Kortisol senken, Blutdruck regulieren, Immunsystem stärken
- die psychische Entspannung: Stressgefühl abbauen, Stimmung aufhellen, innere Ruhe fördern, Symptome lindern
- die Wahrnehmung: Vielfältige Anregung aller Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, Gleichgewicht
- die Bewegung: Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems & Haltungs- und Bewegungsapparats für eine verbesserte körperliche Fitness
- die Kreativität: Neue Eindrücke fördern Ideenreichtum, Fantasie und Problemlösungen
- die Alltagsroutinen: Aussteigen aus Hektik und Reizüberflutung – zurück zur eigenen Mitte
- das innere Erleben: Die Natur als Spiegel und Symbolvorrat für Gefühle, Lebensphasen und persönliche Themen
- die Verbundenheit: Erleben des Eingebunden-Seins in die Natur als größeres Ganzes
- die persönliche Auszeit: Zeit für sich selbst ohne Ablenkung, Gedanken sortieren, Kraft tanken, zur Ruhe kommen
- die Gesundheitsvorsorge: Prävention psychischer und physischer Erkrankungen; niedrigschwellig, kostenfrei und alltagstauglich
Forschungsstand
Wald und Gesundheit – Was die Forschung zeigt
Naturnahe Interventionen zur Gesundheitsförderung – etwa in Form von Waldtherapie oder Waldbaden – sind seit vielen Jahren insbesondere im asiatischen Raum Bestandteil der Public Health Forschung sowie als anerkannte Stressmanagementmethode im Gesundheitssystem etabliert (z.B. Hansen et al., 2017). Auch in Europa zeigt sich derzeit ein wachsendes Interesse an natur- bzw. waldbezogenen Gesundheitsangeboten, wobei dieses Forschungsthema noch vergleichsweise jung ist (z.B. Chun et al., 2023; Kotera et al., 2022; Wan et al., 2024). Belegt wurden durch zahlreiche Studien bislang vor allem kurzfristige, positive Effekte von Waldaufenthalten und -interventionen auf physische sowie psychische gesundheitsbezogene Indikatoren (z.B. Gobster et al., 2022; Park et al., 2010; Yeon et al., 2021; Yi et al., 2022). Zu den nachgewiesenen Wirkungen zählen bspw. die Reduktion der Ausschüttung des Stresshormons Cortisol (Antonelli et al., 2019), die Senkung des Blutdrucks (Wen et al., 2019) sowie die Abnahme depressiver Symptome (Siah et al., 2023). Hierbei verlagert sich der Forschungsschwerpunkt zunehmend auch in Richtung der psychischen Gesundheit (insbesondere Stress, Angst, depressive Symptome) (Wan et al., 2024). Verschiedene aktuelle Übersichtsarbeiten bestätigen diese Ergebnisse für unterschiedliche Zielgruppen im Sinne signifikanter psychosozialer Wirkungen, insbesondere in Bezug auf Entspannung, Stimmungsverbesserung und gesteigertes Wohlbefinden, sowie positive physiologische Effekte (He et al., 2024; Mazzoleni et al., 2024). Insgesamt zeigt sich, dass Waldaufenthalte sowohl das Herz-Kreislauf- und Immunsystem stärken als auch psychische Belastungen reduzieren können. Besonders hervorgehoben wird die zunehmende Relevanz urbaner, leicht zugänglicher Grünräume wie Campus-Wälder als niedrigschwellige Settings für naturnahe Interventionen. Trotz der kontinuierlich zunehmenden Zahl wissenschaftlicher Studien zu gesundheitsfördernden Wirkungen von Waldaufenthalten, mangelt es bislang weiterhin an einer systematischen Integration in gesundheits- und forstpolitische Strukturen: Insbesondere fehlt eine umfassende sozioökonomische Bewertung, die notwendig wäre, um Waldtherapie als alternatives forstwirtschaftliches Produkt oder präventivmedizinische Maßnahme zu etablieren (z.B. Mann et al., 2024). Auch bestehen weiterhin qualitative Defizite hinsichtlich der Studienlage in Bezug auf Standardisierung sowie methodische Stringenz und es fehlt u.a. an Langzeitstudien sowie differenzierten Analysen zu Wirkfaktoren (He et al., 2024; Mazzeloni et al., 2024; Wan et al. 2024). Es besteht daher die Notwendigkeit robusterer Studiendesigns, um die Wirksamkeit waldtherapeutischer Interventionen im europäischen Raum weiter fundiert nachweisen zu können.